03. Juli 2023
“Neue Gentechnik” bald auf Acker & Teller?
– Was bedeutet der aktuelle EU-Vorschlag für Wahlfreiheit, Züchtung und Patente?
Im Vorfeld der Landtagswahlen im Oktober stellt sich die Frage, wie sich die relevanten Parteien in Hessen zu den Themen Gentechnik und Ökolandbau positionieren und inwieweit sie die hessische Spitzenposition in der Öko-Züchtung erhalten oder ausbauen wollen. Um dies zu diskutieren hatte der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und die hessischen Allianz für die Agrar- und Ernährungswende unter dem Titel „”Neue Gentechnik” bald auf Acker und Teller? – Was bedeutet der aktuelle EU-Vorschlag für Wahlfreiheit, Züchtung und Patente?“ am 3. Juli auf den Dottenfelderhof eingeladen.
Vor einem interessierten Publikum sprachen zu Beginn der Veranstaltung die beiden Wissenschaftlerinnen Dr. Angelika Hilbeck (ETH Zürich) und Dr. Eva Gelinsky (Mitglied in der schweizerischen Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich) über die Einordnung der sogenannten Neuen Gentechnik (NGT), zu denen auch das vieldiskutierte CRISPR-Verfahren gehört.
Frau Dr. Hilbeck stellt heraus, dass Gentechnik auf einer reduktionistischen Annahmen basiere. Es werde bei dem Ansatz davon ausgegangen, dass Organismen die Summe ihrer DNA-kodierte Teile seien und somit programmiert werden könnten wie ein Computer. Hingegen könne in der Realität die Komplexität der Interaktionen von Genen und von den einzelnen Organismen mit dem Ökosystem noch nicht vollumfänglich erfasst werden.
Dr. Eva Gelinsky stellte das Thema “Patente” in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Sie sagte, dass Patente als Innovationstreiber wirken können, jedoch auch eine dysfunktionale Wirkung entfalten können, wenn sie strategisch eingesetzt werden, um Wettbewerber auszuschließen. Ihrer Einschätzung nach wird NGT genutzt, um Patente auch im konventionellen Züchtungsbereich einzuführen. Saatgut- und Züchtungsunternehmen stünden die Möglichkeit offen durch NGT erzeugte pflanzliche Eigenschaften patentieren zu lassen. Damit würden alle Sorten, auch die herkömmlich gezüchteten Sorten mit diesen patentierten Eigenschaften, unter das Lizenzsystem fallen „Eine Deregulierung wird patentiertes Saatgut zur Regel machen!“, betonte Dr. Gelinsky vor den rund 40 Teilnehmer*innen der Veranstaltung.
Im Anschluss der beiden einführenden Vorträge fand eine Podiumsdiskussion mit Jan-Wilhelm Pohlmann (CDU), Hans-Jürgen Müller (Bündnis 90 / Die Grüne), Gernot Grumbach (SPD), sowie Andrea Rahn-Farr (FDP) statt.
Herr Pohlmann betonte zu Beginn, dass es weiterhin “eine gewisse Kennzeichnungspflicht geben sollte um die Wahlfreiheit für Verbraucher zu erhalten.”
Für Hans-Jürgen Müller war klar: “Eine Regelung zur NGT soll sich an der alten Regulierung orientieren. Das heißt Wahlfreiheit gewährleisten und das Vorsorgeprinzip umsetzen”
Gernot Grumbach schloss sich dieser Position an: “Wenn man nicht weiß welche Auswirkungen der Einsatz von Technologie führt, sind zwei Dinge zu tun: Beachtung des Vorsorgeprinzips und Durchführung einer Technikfolgenabschätzung.”
Andrea Rahn-Farr sagte: “Die Wahlfreiheit ist wichtig und auch der vorbeugende Verbraucherschutz ist wichtig, jedoch sollte eine Regulierung so getroffen werden, die die Nutzung von CRISPR/Cas nicht blockiert.”
In Bezug auf die Risiken durch die Patentierung von Saatgut führte sie weiter aus: “Die FDP Hessen ist gegen die umfangreichen Patentierungsmöglichkeiten. Das deutsche Sortenrecht sollten wir auf keine Fall aufgeben und für NGT bräuchten wir einen open source Ansatz um das vernüftig zu machen.”
Auch Hans-Jürgen Müller schätzte eine Patentrechtsreform als notwendig ein, “aber das heißt nicht, dass man dann NGT zulassen sollte. Eine Risikoprüfung muss weiterhin vorab vollumfänglich von unabhängige Wissenschaftler*innen durchgeführt werden.” Zusammengefasst heißt das: “Vorsorgeprinzip erhalten und kein Risiko eingehen. Wir haben aktuell keine Not einen solchen Schritt mit einem derartigen Risiko zu gehen.”
Zum Thema Patente sagte Gernot Grumbach “Patente im Bereich der NGTs sind schnellstmöglich abzuschaffen und vorher sollte nichts zugelassen werden.” Weiter führte er aus: Bei der Frage von Vorsorge sollten wir auch über Abhänigkeiten sprechen: neben den ökologischen Folgen sind auch die ökonomischen Abhänigkeiten die durch NGTs entstehen können nicht zu verantworten.
Im Anschluss an die Podiumsrunde zeigte Carl Vollenweider (Geschäftsführer FORSCHUNG & ZÜCHTUNG am Dottenfelderhof) wie moderne Bio-Züchtung Getreide schon heute widerstandsfähig gegen Pilzerkrankungen macht und wie Populationszüchtungen den Landwirtschaftsbetrieben mit der „richtigen Mischung“ in trockenen wie in nassen Jahren eine hohe Ertragssicherheit und -qualität ermöglicht.
Das Fazit der Veranstaltung war für die hessische Allianz für die Agrar- und Ernährungswende klar: Gentechnik schafft neue Abhängigkeiten durch Patente auf Saatgut und Pflanzen, birgt Risiken für die Umwelt und fördert ein Agrar- und Ernährungssystem, das unsere Lebensgrundlagen gefährdet. Daher weist die Allianz alle Versuche zurück, NGT zu deregulieren und tritt für Wahlfreiheit bei Lebensmitteln, mehr Verbraucherschutz und eine gentechnikfreie Landwirtschaft ein.
Hier finden Sie die Pressemitteilung der hessischen Allianz der Agrar- und Ernährungswende zum Legislativvorschlag der EU-Kommission zur künftigen Regulierung gentechnisch manipulierter Pflanze vom 05.07.2023