31. März 2022
Aus ethischer Verantwortung: Ernährungssicherheit herstellen, Nachhaltigkeitsziele verfolgen und ökologische Landwirtschaft stärken
Die Fraktion der Freien Demokraten (FDP) im hessischen Landtag schreibt in Ihrem Antrag vom 22.03.2022 den europäischen Ländern eine besondere ethische Verantwortung bzgl. der weltweiten Ernährungssicherheit zu. Diese, soll laut FDP, dadurch wahrgenommen werden, dass in der Landwirtschaft EU-weit alle Potenziale zur Erzeugung von Getreide, Eiweißpflanzen und Ölsaaten genutzt werden. Damit einhergehen sollen u.a. das Aussetzen der bestehenden Pflicht zur Reduzierung der Stickstoffdüngung. Des Weiteren sollen, nach Willen der FDP, das 25/25-Ziel der hessischen Landesregierung sowie der EU-Green Deal und die sogenannte Farm-to-Fork Strategie neu bewertet werden.
Tim Treis, der Sprecher der Vereinigung ökologischer Landbau in Hessen e.V. (VÖL), dazu: „An diesen Stellschrauben zu drehen ist aus unserer Sicht der völlig falsche Ansatz. Hier wird angenommen, dass die weltweite Ernährungsunsicherheit nur durch eine Einschränkung des Nahrungsmittelangebots verursacht wird und es werden gleichzeitig die Nachhaltigkeitsvorhaben der EU in Frage gestellt. Beides ist falsch.“
Als Ursachen sind aus Sicht der VÖL vielmehr die ungleiche Verteilung von Lebensmitteln, die Verfütterung von Getreide an Tiere und die Verwertung von Getreide als Biokraftstoff zu nennen. Zu den Nachhaltigkeitsvorhaben der EU sagt Treis: „Die Nachhaltigkeitsziele aufzugeben schützt uns nicht vor der aktuellen Krise, sondern verschlimmert sie eher und macht sie zu einem Dauerzustand. Die globale Erwärmung und die Zerstörung natürlicher Ökosysteme beeinträchtigen bereits jetzt weltweit Ernteerträge, eine Situation, die sich ohne ehrgeizige Strategien, u.a. zur Eindämmung des Klimawandels, laut aktuellem IPCC Bericht erheblich verschlechtern wird. Es gilt also mit Weitblick auf die aktuelle Herausforderung der Ernährungsunsicherheit zu reagieren.“
Tim Treis weiter: „Die echten Probleme unseres Wirtschafts- und Ernährungssystems komplett auszuklammernd und entgegen der klaren wissenschaftlichen Faktenlage die Rückkehr zu einem Landwirtschaftssystem zu fordern, dass die derzeitigen Probleme mit verursacht hat, stößt bei der VÖL auf komplettes Unverständnis!“
Der Standpunkt der VÖL wird u.a. von Wissenschaftler*Innen des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gestützt. In einer Pressemitteilung des PIK heißt es: „Jetzt Umweltvorschriften aufzuweichen, um die Lebensmittelproduktion zu steigern, würde die Krise nicht lösen. Es würde uns vielmehr noch weiter von einem robusten Ernährungssystem entfernen, das gegen künftige Schocks gewappnet ist und eine gesunde und nachhaltige Ernährung ermöglicht.“
In einer Erklärung*, die von mehr als 400 internationalen Experten und Expertinnen unterzeichnet wurde, schlagen die Forschenden drei Hebel vor, um kurzfristig die Ernährungssicherheit herzustellen und eine langfristige nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten:
- Beschleunigung der Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen in Europa und anderen Ländern mit hohem Einkommen, wodurch sich die für Tierfutter benötigte Getreidemenge verringern würde;
- Steigerung der Produktion von Hülsenfrüchten und weitere Ökologisierung der EU-Agrarpolitik, auch um die Abhängigkeit von russischem Stickstoffdünger und Erdgas zu verringern;
- Verringerung der Lebensmittelverschwendung, da beispielsweise die Menge an vergeudetem Weizen allein in der EU etwa der Hälfte der Weizenexporte der Ukraine entspricht.
Die VÖL sieht hierin die richtigen Ansatzpunkte. Im Hinblick auf die Ökologisierung der EU-Agrarpolitik erklärt Tim Treis: „Die europäische Landwirtschaft ist bereits jetzt in hohem Maße von energieintensivem Stickstoffdünger abhängig. Da Russland einer der weltweit größten Produzenten von Düngemitteln und Erdgas ist, ist die Versorgung derzeit eingeschränkt. Die Farm-to-Fork-Strategie, die darauf abzielt, die Stickstoffüberschüsse zu halbieren und den ökologischen Landbau auf 25 % der Fläche auszuweiten, würde diese Importabhängigkeit deutlich verringern. Eine größere Vielfalt in den Fruchtfolgen durch die Einbeziehung von stickstoffbindenden Leguminosen könnte synthetischen Dünger durch biologische Fixierung ersetzen. Stickstoffbindende Leguminosen werden damit zur Freiheitsenergie der Landwirtschaft. Dieser Ansatz sollte doch gerade für FDP interessant sein.“
Für Tim Treis ist bei der Umsetzung der genannten Vorschläge zentral: „Eine Anpassung der landwirtschaftlichen Produktion und des Ernährungssystem kann nur mit den Landwirten und Landwirtinnen gelingen – nicht ohne oder gegen sie. Es gilt somit, in guter Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Landwirt*Innen die entsprechenden Rahmenbedingungen zu gestalten. Klar ist dabei für die VÖL, ethische Verantwortung übernehmen heißt: Ernährungssicherheit herstellen, Nachhaltigkeitsziele verfolgen und ökologische Landwirtschaft stärken.“
*siehe: Weblink zum Statement: https://doi.org/10.5281/zenodo.6366131
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